Diese Rezension ist eine Gastrezension. Ich habe sie im Namen meiner Kollegin Syria Segler veröffentlicht und danke ihr ganz herzlich für die tollen Worte, die sie für dieses Buch gefunden hat!
Borderland | von Peter Schwindt | Verlag: Sauerländer | erschienen am 22.08.2018 | Übersetzer: – | Hardcover | 272 Seiten | 16.00€ (D) Weitere Informationen*
So unwirklich das Cover erscheint, so real sind die Ängste und Unsicherheiten des sechzehnjährigen Protagonisten Vincent Amos, um seinen Schmerz, sein Alleinsein, seine Existenz. Der Vater kommt bei einem Autounfall ums Leben, das Geld fehlt, es folgt Armut und der Abstieg vom behüteten zu Hause in eine Gegend des sozialen Brennpunkts. Seine Mutter entzieht sich, fällt ins Koma, kommt ins Krankenhaus. Vincent kämpft ums Überleben, er ist am Boden, ohne jede Hoffnung, der über sich selbst sagt „…Der Schmerz hört nie auf. Nie. Und am Ende sind wir nur die Summe unserer Verluste…“
Im Fokus steht der Protagonist, ein „normaler Junge“ auf dem Weg zur Selbstfindung. „Vincent Amos“, so könnte der Titel des Romans auch heißen– ähnlich wie „Anton Reiser“ ist es ein Entwicklungsroman. (Der Titel „Borderland“ bezeichnet einen halbseidenen Club und Partyort, an dem viel passiert und Vincent seine Unschuld verliert.) Vincent begegnet im Verlauf der Geschichte verschiedenen Personen, so trifft er Vida in der Schule und Jane auf dem Friedhof. Mit beiden Mädchen entwickeln sich Verbindungen, die nicht „normal“ sind. Sie sind die Matrix für seine Träume, Wünsche, Hoffnungen aber auch Verlustängste. Beide sind ein Teil seiner selbst. Mit ihrer Lebendigkeit, mit ihrer Zuneigung holen sie Vincent immer wieder ab, nehmen ihn an die Hand, bieten ihm profunde Freundschaft. Der Autor beschreibt die Figuren detailgenau, ist ganz nah bei ihnen und lässt den Leser dadurch nicht los.
Jane, schwarz und seltsam gekleidet, begegnet Vincent nachts am „Dia de los muertos“ („Tag der Toten“ in Mexiko) am Grab seines Vaters. Sie wird ihn ab diesem Zeitpunkt begleiten, ihn immer wieder mit sich selbst konfrontieren “Ich bin Dein Spiegel…“ sagt sie einmal. Sie ist eine schillernde Person, ein „Engel“, mit echt tätowierten Flügel auf ihrem Rücken, ein Mysterium, mal heiter und unbeschwert, mal depressiv und erschöpft. Ein Spiegelbild der Seele von Vincent. Mit ihr erlebt er skurrile Geschichten, manchmal erscheinen sie fast kitschig, da wo die fantastische Welt anfängt und reale zurückritt, dort wo es tiefer in die Träume von Vincent geht. Als Jane und er vom Besuch der Mutter zurückkommen (und vollkommen Verrücktes geschehen war) durchströmt Vincent „Ein warmes Gefühl der Zuneigung. Jane mochte ein Irrlicht sein, aber sie war in der kurzen Zeit, in der ich sie kannte, eine Konstante für mich geworden. Mein Leuchtturm.“
Vida geht in die gleiche Klasse, er verliebt sich in sie. Sie gehen eine besondere Verbindung ein, die asexuell bleibt. Auch hier entwickelt sich die Persönlichkeit Vincent – wie mit Jane, fast korrelierend – und er lernt durch sie noch weitere Seiten seines Selbst kennen. Vincent lässt allmählich neue Erfahrungen zu, öffnet sich nach und nach und ist am Ende ein anderer, mit einem anderen Standing. „Wir sind nicht nur die Summe unserer Verluste“, dieser Umkehrschluss vom Anfang der Geschichte steht am Ende, ein wunderbares Zeichen einer großen Veränderung. Vincent hat nicht nur überlebt, sondern lebt.
Der Roman ist mehr als die Summe seiner Geschichten. Die Musik etwa, Brahms, Satie, aber auch Hiphop und Pop spielen eine zentrale Rolle und Gerüche, Zimt bei Jane, Jasmin bei Vida, der Geruch gespitzter Bleistifte bei der Psychologin im Krankenhaus – ein Geruch, der bis dato so sicher noch nicht in der Literatur beschrieben wurde.
Peter Schwindt ist ein Buch gelungen, das mit einigen Genres spielt, wie dem Fantasyroman, dem Märchen, dem Entwicklungsroman. Der Autor, Anfang fünfzig, hat der Jugend sehr genau „aufs Maul“ geschaut, es ist nicht nur eine Sprache, die den Jargon der Jugend spricht, es ist eine kraftvoll und zugleich empfindsame Sprache, etwa wenn Anoush, eine Freundin, ihm verrät: „Liebe ist nichts für Weicheier. Lass dir das von jemand sagen, der zu viel davon in sich trägt und manchmal nicht weiß, wohin er damit soll…“
Ein Roman, für den junge Handy-Hardliner, um vielleicht einmal sein Smartphone zur Seite legen, denn die Geschichte ist spannend und treibt einen weiter. Wie bei einem PC-Spiel, das man zu Ende spielen muss. Auch für Erwachsene ein lohnenswerter Lesestoff. Wer also noch in letzter Minute ein Geschenk für Weihnachten braucht– „Borderland“ wäre eine uneingeschränkte Empfehlung.
Weitere Rezensenten:
Nickis Bücherwelt | Fantasie und Träumerei
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